Selbsterntegarten
Fuldaaue
PFLANZEN Die „GemüseSelbstErnte am Waldauer Fußweg“ ist ein Uni-Projekt, das Katharina Mittelstraß vom Lehr- und Versuchsbetrieb Domäne Frankenhausen seit acht Jahren auch im Überschwemmungsland an der Waldauer Wiese betreibt. Jährlich wird hier im Frühjahr ein Gemüseacker angelegt, der Stadtbewohner:innen in kleinen Parzellen zur eigenen Lebensmittelversorgung verpachtet wird. Dazu werden Reihen mit rund 30 verschiedenen Gemüse- und Kräuterarten gepflanzt und gesät, die dann einfach querunterteilt werden, so dass jede Parzelle alle Gemüsearten enthält. Das vorgepflanzte Gemüse muss von den Pächtern bis zur Reife gepflegt und kann dann geerntet werden.
ERNTEN Das einfache wie geniale Prinzip enthält auch Leerflächen, die Raum für eigene Kreativität lassen. So pflanzt Annika jedes Jahr ein Karree mit einer seltenen süd- amerikanischen Maissorte, das – zur Erntezeit innen ausgedünnt – zu einem kleinen Haus fürs Erntedanken wird und temporär als essbare Partylocation dient.
ACKER Im Herbst verschwindet das im Sommer üppige Feld komplett und bleibt bis zum kommenden Frühjahr ein einfacher Acker großer, dunkler Schollen. Mittelstraß und ihre Kolleg:innen beachten obligatorisch genau die Ruhe- und Erholungszeiten der Erde, vermeiden Verdichtung und wirtschaften ökologisch nach Bioland- und Naturland-Richtlinien.
STADTENTWICKLUNG Das Prinzip Selbsterntegarten wurde vor 20 Jahren von einem Wiener Professor nach Kassel importiert, von wo aus es sich über ganz Deutschland ausbreitete. Es verhilft Stadtbewohner:innen zu einer gesunden und kostengünstigen Ernährung und vermittelt ihnen wieder einen normalen Bezug zu Natur und Agrikultur. Und so wird es von Katharina Mittelstraß und den anderen Protagonist:innen auch als neue Typologie bei städtischen Planungsprozessen propagiert und zunehmend in ganz Deutschland eingesetzt.
DIE ESSBARE STADT ist eigentlich überall. Wie auch hier im Selbsterntefeld pflanzen und ernten Karsten Winnemuth, auf den man bei den Recherchen in Kassel Ost unweigerlich stößt und seine Kolleg:innen an allen Ecken und Enden in Kassel konsumierbare Genüsse aus eigenem Anbau und akquirieren unentwegt neues Terrain für die informelle Stadtbegrünung. Besonders der Forstfeldgarten ist als urbaner Waldgarten ein ambitioniertes Projekt, in dem neben Pflanzprojekten auf der eigenen Bühne auch Musik gemacht wird. Dass Karsten Winnemuth auch bei der Band „Die Zeit der Steine“ mit Mike Euler spielt, zeigt einmal mehr die tiefe Vernetzung der Akteur:innen von Kassel Ost.
MONUMENT FÜR LUCIUS BURCKHARDT Nahe des in der Weite der Landschaft fast unsichtbaren Selbsterntegartens wird zum Projekt Eine Landschaft auf freiem Feld eine Flugzeugtreppe vom Kasseler Flughafen installiert, um einen er- höhten Blick auf Garten und Landschaft zu gewähren. Sie erinnert an Professor Lucius Burckhardt, der lange Zeit in Kassel lehrte und die Spaziergangswissenschaft („Strollology“) erfand, die für die Erforschung urbaner und landschaftlicher Räume elementar ist.
Bekannt wurde Burckhardt besonders durch verschiedene urbane Experimente, mit denen er die eigene Perspektive auf urbane Situationen zu verändern suchte. So arbeitete er in Kassel mit einem mobilen Zebrastreifen, organisierte Parkplatzkongresse oder streifte mit vorgehaltener Windschutzscheibe zu Fuß durch die Stadt, um die Autofahrerperspektive bei Fußgängergeschwindigkeit erlebbar zu machen.
In einem seiner nicht realisierten Entwürfe schlug er eine Flugzeugtreppe als geeignetes Mittel vor, um die Perspektive auf die Stadt und die urbane Landschaft zu verändern. Beim nun realisierten Monument für Lucius Burckhardt sieht man den sonst eher unsichtbaren Selbsterntegarten nun im Kontext der Landschaft aus leicht erhöhter Position. Gleichzeitig legt die Treppe ein Umdenken bezüglich des Reiseverhaltens nah und schlägt die eigene Umgebung als attraktives Terrain für den Kurzurlaub und besondere Forschungsreisen in die oft unbekannte Nähe vor.
Um diesen Vorschlag einzuführen, werden wir auf einem Spaziergang mit dem Verkehrswissenschaftler und Protagonisten der Burckhardt-Schule, Helmut Holzapfel, die Wirkung Burckhardts auf die heutige Stadt- und Verkehrsplanung, aber auch seinen Einfluss auf aktuelle urbane Kunstpraktiken diskutieren.
Self-Harvesting Garden
Fuldaaue
PLANTING “GemüseSelbstErnte am Waldauer Fußweg” (Harvest-Your-Own Vegetables on the Waldauer Fußweg) is a university project that Katharina Mittelstraß from the Teaching and Research Farm Frankenhausen has also been running at the Waldauer Wiese on the floodplain for eight years. Every spring, a vegetable field is planted here, which is then leased to city dwellers in small plots as their own food supply. To this end, rows of around thirty different types of vegetables and herbs are planted and sown, before being simply subdivided crosswise so that each plot contains every type of vegetable. The vegetable seedlings must be tended to maturity by the tenants and then harvested.
HARVESTING This simple yet ingenious principle also includes empty spaces that leave room for creativity. For example, every year Annika plants a square of a rare South American variety of corn, which is thinned out inside at harvest time to become a small house for harvest thanksgiving and temporarily serves as an edible party location.
ACKER In the fall, the previous lushness of the field in summer disappears completely and remains a simple field of large, dark clods of earth until the following spring. Mittelstraß and her colleagues strictly observe the resting and recovery periods of the soil, avoid compaction, and farm in an environmentally friendly manner that complies with organic and Naturland standards.
URBAN DEVELOPMENT The principle of harvest-your-own gardens was imported to Kassel twenty years ago by a Viennese professor, and from there it spread throughout Germany. It not only helps city dwellers to eat healthily and inexpensively and restores their relationship to nature and agriculture; it is also championed by Katharina Mittelstraß and other key figures as a new typology in urban planning processes and is being increasingly implemented throughout Germany.
THE ESSBARE STADT (Edible City) is actually everywhere. Just like in the “harvest-your-own” field, Karsten Winnemuth and his colleagues are planting and harvesting edible delights they have grown all over Kassel and are constantly acquiring new terrain for informal urban greening too. A particularly ambitious project by Winnemuth—whom you inevitably come across while doing any research on East Kassel—is the Forstfeldgarten, an urban forest garden that has its own stage for musical events alongside its planting projects. The fact that Karsten Winnemuth also plays in the band “Die Zeit der Steine” with Mike Euler is yet another example of the close connections between the protagonists of East Kassel.
MONUMENT TO LUCIUS BURCKHARDT Near the harvest-your-own garden, which is almost invisible in the vastness of the landscape, an airplane staircase from Kassel airport will be installed in an open field for the project Eine Landschaft (A Landscape) in order to provide an elevated view of the garden and landscape. It commemorates Professor Lucius Burckhardt, who taught in Kassel for a long time and invented “strollology,” the science of walking, which is fundamental to the study of urban and rural spaces.
Burckardt also became famous for various urban experiments with which he sought to change his own perspective on urban situations. In Kassel, for example, he worked with a mobile crosswalk, organized parking lot conventions, and roamed the city on foot holding a windshield in order to make it possible to experience the motorist’s perspective at pedestrian speed.
In one of his unrealized designs, he suggested that an airplane staircase could be a suitable means of changing your perspective on the city and the urban landscape. Thanks to the now realized Monument für Lucius Burckhardt (Monument to Lucius Burckhardt), the otherwise rather invisible harvest-your-own garden is now easily viewed in the context of the landscape from above. At the same time, it encourages us to rethink our own travel behavior and suggests that our own surroundings can be attractive terrain for short vacations and special research trips into our often unfamiliar immediate environment.
To introduce this proposal, we will discuss Burckhardt’s impact on urban and transportation planning today, as well as his influence on current urban artistic practices, on a walk with Helmut Holzapfel, a transportation scholar and proponent of the Burckhardt school of thought.
Selbsterntegarten
Fuldaaue
PFLANZEN Die „GemüseSelbstErnte am Waldauer Fußweg“ ist ein Uni-Projekt, das Katharina Mittelstraß vom Lehr- und Versuchsbetrieb Domäne Frankenhausen seit acht Jahren auch im Überschwemmungsland an der Waldauer Wiese betreibt. Jährlich wird hier im Frühjahr ein Gemüseacker angelegt, der Stadtbewohner:innen in kleinen Parzellen zur eigenen Lebensmittelversorgung verpachtet wird. Dazu werden Reihen mit rund 30 verschiedenen Gemüse- und Kräuterarten gepflanzt und gesät, die dann einfach querunterteilt werden, so dass jede Parzelle alle Gemüsearten enthält. Das vorgepflanzte Gemüse muss von den Pächtern bis zur Reife gepflegt und kann dann geerntet werden.
ERNTEN Das einfache wie geniale Prinzip enthält auch Leerflächen, die Raum für eigene Kreativität lassen. So pflanzt Annika jedes Jahr ein Karree mit einer seltenen süd- amerikanischen Maissorte, das – zur Erntezeit innen ausgedünnt – zu einem kleinen Haus fürs Erntedanken wird und temporär als essbare Partylocation dient.
ACKER Im Herbst verschwindet das im Sommer üppige Feld komplett und bleibt bis zum kommenden Frühjahr ein einfacher Acker großer, dunkler Schollen. Mittelstraß und ihre Kolleg:innen beachten obligatorisch genau die Ruhe- und Erholungszeiten der Erde, vermeiden Verdichtung und wirtschaften ökologisch nach Bioland- und Naturland-Richtlinien.
STADTENTWICKLUNG Das Prinzip Selbsterntegarten wurde vor 20 Jahren von einem Wiener Professor nach Kassel importiert, von wo aus es sich über ganz Deutschland ausbreitete. Es verhilft Stadtbewohner:innen zu einer gesunden und kostengünstigen Ernährung und vermittelt ihnen wieder einen normalen Bezug zu Natur und Agrikultur. Und so wird es von Katharina Mittelstraß und den anderen Protagonist:innen auch als neue Typologie bei städtischen Planungsprozessen propagiert und zunehmend in ganz Deutschland eingesetzt.
DIE ESSBARE STADT ist eigentlich überall. Wie auch hier im Selbsterntefeld pflanzen und ernten Karsten Winnemuth, auf den man bei den Recherchen in Kassel Ost unweigerlich stößt und seine Kolleg:innen an allen Ecken und Enden in Kassel konsumierbare Genüsse aus eigenem Anbau und akquirieren unentwegt neues Terrain für die informelle Stadtbegrünung. Besonders der Forstfeldgarten ist als urbaner Waldgarten ein ambitioniertes Projekt, in dem neben Pflanzprojekten auf der eigenen Bühne auch Musik gemacht wird. Dass Karsten Winnemuth auch bei der Band „Die Zeit der Steine“ mit Mike Euler spielt, zeigt einmal mehr die tiefe Vernetzung der Akteur:innen von Kassel Ost.
MONUMENT FÜR LUCIUS BURCKHARDT Nahe des in der Weite der Landschaft fast unsichtbaren Selbsterntegartens wird zum Projekt Eine Landschaft auf freiem Feld eine Flugzeugtreppe vom Kasseler Flughafen installiert, um einen er- höhten Blick auf Garten und Landschaft zu gewähren. Sie erinnert an Professor Lucius Burckhardt, der lange Zeit in Kassel lehrte und die Spaziergangswissenschaft („Strollology“) erfand, die für die Erforschung urbaner und landschaftlicher Räume elementar ist.
Bekannt wurde Burckhardt besonders durch verschiedene urbane Experimente, mit denen er die eigene Perspektive auf urbane Situationen zu verändern suchte. So arbeitete er in Kassel mit einem mobilen Zebrastreifen, organisierte Parkplatzkongresse oder streifte mit vorgehaltener Windschutzscheibe zu Fuß durch die Stadt, um die Autofahrerperspektive bei Fußgängergeschwindigkeit erlebbar zu machen.
In einem seiner nicht realisierten Entwürfe schlug er eine Flugzeugtreppe als geeignetes Mittel vor, um die Perspektive auf die Stadt und die urbane Landschaft zu verändern. Beim nun realisierten Monument für Lucius Burckhardt sieht man den sonst eher unsichtbaren Selbsterntegarten nun im Kontext der Landschaft aus leicht erhöhter Position. Gleichzeitig legt die Treppe ein Umdenken bezüglich des Reiseverhaltens nah und schlägt die eigene Umgebung als attraktives Terrain für den Kurzurlaub und besondere Forschungsreisen in die oft unbekannte Nähe vor.
Um diesen Vorschlag einzuführen, werden wir auf einem Spaziergang mit dem Verkehrswissenschaftler und Protagonisten der Burckhardt-Schule, Helmut Holzapfel, die Wirkung Burckhardts auf die heutige Stadt- und Verkehrsplanung, aber auch seinen Einfluss auf aktuelle urbane Kunstpraktiken diskutieren.
Self-Harvesting Garden
Fuldaaue
PLANTING “GemüseSelbstErnte am Waldauer Fußweg” (Harvest-Your-Own Vegetables on the Waldauer Fußweg) is a university project that Katharina Mittelstraß from the Teaching and Research Farm Frankenhausen has also been running at the Waldauer Wiese on the floodplain for eight years. Every spring, a vegetable field is planted here, which is then leased to city dwellers in small plots as their own food supply. To this end, rows of around thirty different types of vegetables and herbs are planted and sown, before being simply subdivided crosswise so that each plot contains every type of vegetable. The vegetable seedlings must be tended to maturity by the tenants and then harvested.
HARVESTING This simple yet ingenious principle also includes empty spaces that leave room for creativity. For example, every year Annika plants a square of a rare South American variety of corn, which is thinned out inside at harvest time to become a small house for harvest thanksgiving and temporarily serves as an edible party location.
ACKER In the fall, the previous lushness of the field in summer disappears completely and remains a simple field of large, dark clods of earth until the following spring. Mittelstraß and her colleagues strictly observe the resting and recovery periods of the soil, avoid compaction, and farm in an environmentally friendly manner that complies with organic and Naturland standards.
URBAN DEVELOPMENT The principle of harvest-your-own gardens was imported to Kassel twenty years ago by a Viennese professor, and from there it spread throughout Germany. It not only helps city dwellers to eat healthily and inexpensively and restores their relationship to nature and agriculture; it is also championed by Katharina Mittelstraß and other key figures as a new typology in urban planning processes and is being increasingly implemented throughout Germany.
THE ESSBARE STADT (Edible City) is actually everywhere. Just like in the “harvest-your-own” field, Karsten Winnemuth and his colleagues are planting and harvesting edible delights they have grown all over Kassel and are constantly acquiring new terrain for informal urban greening too. A particularly ambitious project by Winnemuth—whom you inevitably come across while doing any research on East Kassel—is the Forstfeldgarten, an urban forest garden that has its own stage for musical events alongside its planting projects. The fact that Karsten Winnemuth also plays in the band “Die Zeit der Steine” with Mike Euler is yet another example of the close connections between the protagonists of East Kassel.
MONUMENT TO LUCIUS BURCKHARDT Near the harvest-your-own garden, which is almost invisible in the vastness of the landscape, an airplane staircase from Kassel airport will be installed in an open field for the project Eine Landschaft (A Landscape) in order to provide an elevated view of the garden and landscape. It commemorates Professor Lucius Burckhardt, who taught in Kassel for a long time and invented “strollology,” the science of walking, which is fundamental to the study of urban and rural spaces.
Burckardt also became famous for various urban experiments with which he sought to change his own perspective on urban situations. In Kassel, for example, he worked with a mobile crosswalk, organized parking lot conventions, and roamed the city on foot holding a windshield in order to make it possible to experience the motorist’s perspective at pedestrian speed.
In one of his unrealized designs, he suggested that an airplane staircase could be a suitable means of changing your perspective on the city and the urban landscape. Thanks to the now realized Monument für Lucius Burckhardt (Monument to Lucius Burckhardt), the otherwise rather invisible harvest-your-own garden is now easily viewed in the context of the landscape from above. At the same time, it encourages us to rethink our own travel behavior and suggests that our own surroundings can be attractive terrain for short vacations and special research trips into our often unfamiliar immediate environment.
To introduce this proposal, we will discuss Burckhardt’s impact on urban and transportation planning today, as well as his influence on current urban artistic practices, on a walk with Helmut Holzapfel, a transportation scholar and proponent of the Burckhardt school of thought.
Ein Projekt von
mit Renée Tribble/TU Dortmund
und den Initiativen von Kassel Ost