Rene Wagner
AHOI
Kunst aus Kassel
KUNST LOKAL
Dass recht wenige Kasselaner Künstler:innen jemals auf der internationalen Schau ihre Arbeiten zeigten, lässt eine Diskrepanz zwischen lokalen Wissenskontexten und dem internationalen Festivalformat documenta vermuten, das globale Märkte westlicher Kulturprägung viel eher zu bedienen scheint als sich für die Wechselwirkungen zwischen lokalen Mikro- und globalen Metadiskursen zu interessieren. Dabei stellt sich die Frage, ob es noch zeitgemäß ist, hier weiterhin einen Konflikt zu konstatieren, der schon immer relativ undifferenziert zwischen internationaler Größe und mutmaßlich muffigem Lokalkolorit unterscheidet.
Dabei scheint es gar nicht so schwierig, hier Synergien zu finden, wenn man die Qualitäten der Räume spezifiziert. Während die Ausstellungshäuser der Stadt Raum für die isolierte, konzentrierte Betrachtung von Kunst stehen, fordert der Stadtraum per se eine Kontextualisierung künstlerischer Arbeit.
WELTMEISTER
Gute Beispiele dafür finden sich auch in Kassel Ost. Im Ahoi, einem früheren Bootsverleih, der mit zwei Schwänen für sich warb, die die Fulda rauf und runter ruderten, hat sich der Künstler Rene Wagner im idyllischen Ambiente am Fluss sein Atelier eingerichtet. Wagners Arbeiten, die sich natürlich an den internationalen Kunstdiskurs richten, verbinden die Hochglanzästhetik einer Siegerkultur wie der des Motorsports subtil mit deren Scheitern. Seine selbst verfasste Reihe von Siegertrophäen, auf denen er sich zum Gewinner fiktiver Preise erklärt, weisen bei genauerem Hinsehen Blessuren und Deformationen auf, die an eben dieser Hochglanzästhetik des hier verhandelten Gesellschaftsmodells zweifeln lassen. Die Transformation einer in der Graffitiszene geschärften Praxis des Handels mit Zeichen wie Symbolen und Werten wie Ideologien führt Wagner zu einer Verquickung von alltagskulturellen Praktiken mit hochkultureller Syntax. Wo Flip-Flop Lack auf Leinwand trifft oder sich eine gut inszenierte Pokalsammlung im Fenster mit der gewohnten Selbstdarstellung der kleinen Siege in unseren Wohnvierteln- und zimmern auseinandersetzt, sucht sich eine internationale Sprache der Kunst ihr Umfeld im Austausch mit dem lokalen Kontext.
NACHBARN
Dass Rene Wagner gleich nebenan in der Blücherstraße lebt, abends bei der MILA einkauft, seine Freizeit im Blüchergarten verbringt und als Quasi-Hausmeister des Ahoi eine Menge spannende Geschichten aus dem Umfeld erzählen kann, lässt sein Studio zu einer global-lokalen Schnittstelle mit Spaßfaktor werden, in das man durchaus mal reinschauen sollte. Die Geschichten von der falschen Ente, die er mal zusammen mit Daniel von Bothmer zur documenta auf der Fulda aussetzte und die von dieser scharf kritisiert wurde, prognostiziert einen bisher recht humorlosen Umgang der Großinstitution mit den lokalen Nachbarn, der sich angesichts des aufkommenden Interesses an lokalem Wissen in Zukunft hoffentlich aktualisieren wird.
Rene Wagner
AHOI
Art from Kassel
LOCAL ART
The fact that so few Kassel artists have ever shown their work at documenta continues to suggest a discrepancy between local knowledge contexts and the international festival format, which is more interested in serving global markets oriented toward Western culture than in the interactions between local micro- and global meta-discourses. This raises the question of whether it is even appropriate to continue to acknowledge a conflict here that has always made a relatively unsophisticated distinction between international greatness and a supposedly dowdy local color.
Yet it does not seem so difficult to find synergies here if you specify the characteristics of the spaces. While the exhibition halls of the city space represent the isolated, concentrated viewing of art, the city space in itself demands a contextualization of artistic work.
WORLD CHAMPION
Good examples of this can also be found in East Kassel. In Ahoi, a former boat rental that advertised itself with two swans rowing up and down the Fulda, the artist Rene Wagner set up his studio in the idyllic ambience of the river. His works, which are naturally directed at international art discourse, subtly combine the glossy aesthetics of a winning culture like that of motor sports with its failure. His self constructed series of trophies, on which he declares himself the winner of fictitious prizes, reveal blemishes and deformities on closer inspection that cast doubt on the glossy aesthetic of the societal model being examined here. The transformation of a practice, honed in the graffiti art scene, of dealing with signs as well as symbols, values as well as ideologies, leads Wagner to an amalgamation of everyday cultural practices with a highbrow cultural syntax. At the point where holographic paint meets canvas or a well-staged collection of trophies in the window confronts the habitual self-presentation of small victories in our neighborhoods and living rooms, the international language of art is seeking an environment of its own in dialogue with the local context.
NEIGHBORS
The fact that Rene Wagner lives right next door in Blücherstrasse, shops at MILA in the evenings, spends his free time in the Blüchergarten and, as the quasi-custodian of Ahoi, can tell you a lot of exciting stories from the surrounding area, makes his studio a global-local interface with a fun factor that should not be missed. The story about the fake duck that he once put with Daniel von Bothmer out on the Fulda for documenta, which was sharply criticized by the festival, exemplifies the hitherto rather humorless approach of this large institution to its local neighbors. Hopefully, in light of the emerging interest in local knowledge, this mindset will be updated in the future.
Ein Projekt von
mit Renée Tribble/TU Dortmund
und den Initiativen von Kassel Ost